Die Lanzo-Täler in den Grajischen Alpen bei Turin rühmen sich als Wiege des italienischen Alpinismus und Skilaufs. Während in der Belle Epoche wohlbetuchte und berühmte Gäste herbeiströmten und die Schönheit der Berge besangen, ist heute Stille eingekehrt und die ungestörte Bergwelt ist einer der größten Trümpfe. Milder werdenden Wintern begegnet die Region mit innovativen Ideen und Angeboten sowie der Teilnahme am europäischen Programm “Beyond Snow”.

Livio Barello hat ein Problem. Zwar braucht sein Rifugio Colle del Lys auf rund 1.300 Metern Meereshöhe mit traumhaften Ausblicken in die Bergwelt nicht zu geizen. Dennoch fehlt es in der kalten Jahreszeit vielen an den im Winter beliebten Reizen. Ausreichender Schnee für den Baby Snow Park und den kleinen Lift an der Berghütte stellt sich nicht mehr ein, und so führen die Einrichtungen ein tristes Dasein.

Szenenwechsel: Rund 50 Kilometer weiter liegt die Hochebene Pian de la Mussa auf 1.850 Metern am Talende des Val d´Ala noch in tiefstem Weiß. Dennoch fielen auch hier erst im März einige Flocken, viel zu spät um Bergliebhaber in verschneite Berge zu locken. Immerhin lädt der verbliebene Schnee noch zu einer bezaubernden Schneeschuhtour ein. Bergführer Alessandro erzählt uns von goldenen Zeiten der Belle Epoche und von den Schmugglerpfaden ins benachbarte Frankreich.

Auf der Pian della Mussa ist das wohl berühmteste Berglied der Alpen entstanden: Die Hochebene inspirierte Toni Ortelli zum Schreiben der Berghymne „La Montanara“. Eine kleine Gedenktafel erinnert noch daran. Ebenso soll hier Adolfo Kind das Skifahren in Italien etabliert haben. Angesichts dessen ist wohl von Glück zu sprechen, dass nicht ringsum Lifte errichtet wurden. Die naturbelassene Landschaft, die sich ringsum auftürmenden Berge und das darunter liegende Dorf Balme, das sich der Vereinigung der Bergsteigerdörfer angeschlossen hat, bergen einen Schatz, der für die Lanzo-Täler kennzeichnend ist: Ein Alpinismus, der sowohl mit als auch ohne Schnee anziehend ist. Das Ziel der Teilnahme am europäischen Programm “Beyond Snow” ist Bergurlaub in all seinen Facetten, anstatt sich an alpinen Skilauf zu ketten.

Bei Zeit in Balme ist ein Besuch des “Ecomuseo delle guide alpine”, das die Geschichte des Bergsteigens und der Bergführer der Region dokumentiert, Pflicht. Wer hoch hinaus will, hat dazu in den Lanzo-Tälern viel Gelegenheit. Bergsteiger und Alpenüberquerer ziehen zwei GTA-Etappen an. Eine führt aus Pialpetta im Val Grande nach Balme im Val d´Ala, die andere von Balme hinüber nach Usseglio im Val di Viu. Dabei geht es auf knapp 2.500 Meter über dem Meer hinauf. Wer gerne alpinen Nervenkitzel mit reinstem Luxus verbindet, der steigt auf die Skylodge “Il Rifugio dell´Anima” in Usseglio, die 300 Meter über dem Tal als Hideaway auf einem Felsen keine Wünsche offen lässt. In einer Mountainbike-Broschüre auf Deutsch sind verschiedene Routen für MTB-Fans verzeichnet, speziell am Colle del Lys und im Val di Viu. Kletterwände und Klettersteige runden die echten Bergerlebnisse ab.

Wer einfach nur eine Auszeit in den Bergen sucht, muss sich aber in den Lanzo-Tälern nicht in alpine Abenteuer stürzen. Lohnenswert ist auch der Besuch antiker Mühlen und Öfen, Käsereien und Museen. Kulinarisch wird der Besucher der Lanzo-Täler, wie im Piemont üblich, ganz besonders verwöhnt. Stolz sind die Bergbewohner auf den Toma di Lanzo und den Ziegenkäse Blu di Lanzo. Käse ist nicht gleich Käse. Eine ganz besondere Qualität wird mit viel Liebe zu den Bergen in der Käserei Cà du Roc von Cinzia und Renata in Cresto di Stura erzeugt.

Abschließend lässt sich sagen: Gerade die relative Abgeschiedenheit und die authentische Belassenheit der Lanzo-Täler sind echte Trümpfe für die Zukunft und die Region damit ein lebendiges Beispiel für nachhaltigen Tourismus und Innovation. “Beyond Snow” öffnet dem Winterurlaub neue Wege, die es ermöglichen, die Schönheit und Vielfalt der Alpen auf eine ganz neue Weise zu erleben. Ob zu Fuß, mit dem Fahrrad oder in Schneeschuhen – die Möglichkeiten sind grenzenlos. Wo der Grundstein für den modernen Alpinismus und auch für den Skilauf in Italien gelegt wurde, heißt es heute: Es ist Zeit, die Lanzo-Täler auch jenseits des Schnees ganz neu zu entdecken.

Mit schönen Erlebnissen aus den Lanzo-Tälern im Gepäck, lohnt es sich, zum Abschluss des Urlaubs wenigstens einen halben Tag für die Besichtigung von Turin einzuplanen, da die An- und Abreise ohnehin über die bezaubernde Stadt führt. Auch wenn die Zeit knapp ist, sollte wenigstens die Besichtigung des Nationalen Filmmuseums Turin in der einzigartigen Mole Antonelliana, dem Wahrzeichen der Stadt, auf dem Programm stehen. Bei einer Tasse Merenda Reale, der für die Region berühmten heißen Schokolade mit Keksen, lassen wir die Eindrücke der Reise zu den Wurzeln des Alpinismus in Italien Revue passieren.

Valli di Lanzo

Allgemein

Turismo Torini e Provincia
www.turismotorino.org
Consorzio Operatori Turistici Valli di Lanzo
www.turismovallidilanzo.it

Anreise

Die Nähe zu Turin macht es möglich, nachhaltig mit öffentlichen Verkehrsmitteln anzureisen. Die Bahnstrecke Turin-Ceres führt über den internationalen Flughafen von Turin Caselle. Derzeit verkehrt die Bahn nur bis Germagnano, das ist eine Station nach Lanzo Torinese, an der Auffahrt ins Val di Viu. Die Endstation Ceres befindet sich am Eingang des Val d´Ala und soll zukünftig wieder angefahren werden.

Einkehren

Rifugio Les Montagnards, Frazione Cornetti 73, Balme, Val d´Ala
www.lesmontagnards.it
Ristorante Hotel Furnasa, Via XXIV Maggio, 16, Usseglio, Val di Viu
www.ristorantehotelfurnasa.com

Übernachten

Albergo Rocciamelone, Usseglio, Val di Viu
www.albergorocciamelone.com
Skylodge “Il Rifugio dell´Anima”, Usseglio, Val di Viu
www.uskylodge.it