Fünf Tage, tausende Schafe, unzählige Eindrücke: Auf den über 360 Kilometern des Nordseeküstenradwegs in Schleswig Holstein erleben Radfahrer zwischen Hamburg, Brunsbüttel, Büsum, St. Peter-Ording, Husum, Niebüll und Dänemarks Grenze die Nordsee pur. Wo hungrige Radler auf Halligen Spitzengastronomie erwartet und man dann mit frischen Kräften jedem Wetter startet: Wir haben uns mit dem Gravelbike aufgemacht, die nordfriesische Küste in allen Facetten zu erleben: salzig, stürmisch, spektakulär.
Den Nord-Ostseekanal, eine der meistbefahrenen Schifffahrtsstraßen der Welt, im hohen Bogen auf der Hochbrücke im Zug Richtung Westerland überquert, erreiche ich kurz darauf Sankt Michaelisdonn. Der Ort liegt auf liegt auf Etappe 13 des Nordseeküstenradwegs und eignet sich daher ideal als Startpunkt meiner fünftägigen Gravelbike-Tour zu den schönsten Orten an Schleswig-Holsteins Nordseeküste. Den schmucklosen Bahnhof verlasse ich zügig und entdecke gleich das Nordseeküstenradweg Zeichen mit violettem Fahrrad auf hellblauem Grund, welches mich in das sofort lieblicher werdende Umland führt.

Weiter Himmel und unendlich viele Schafe:
Nordseeküste in Schleswig-Holstein.
Als sich der Himmel verfinstert und der erste Nieselregen auf meine Jacke trommelt, bin ich längst mittendrin: in der unverwechselbaren Landschaft Dithmarschens, die sich zwischen Marsch und Geest in sanften Wellen ausbreitet. Der Wind bläst mir ins Gesicht. Es ist ein Tag, wie man ihn an der Nordseeküste liebt oder auch nicht – grau, nass, authentisch. Und genau das macht ihn zugleich so zauberhaft.

Windmühlen wie die Südermühle,
ein stattlicher Galerieholländer,
säumen den Weg.
Entschleunigung pur: Die Wege schlängeln sich vorbei an sattgrünen Weiden, deren Bewohner in stoischer Ruhe Wind und Wetter trotzen. Der Radweg führt mich durch das charmante Meldorf, das sich als pittoreske Kulturhauptstadt Dithmarschens entpuppt. Malerische Gässchen und gepflegte Gärten, eine einladende Ruhe und eine stattliche Windmühle. Der frühgotische Meldorfer Dom, ein monumentales Meisterwerk aus Backstein, reckt sich stolz in den grauen Himmel – ehrwürdig, erhaben. Gleich dahinter entdecke ich eine praktische Fahrradreparaturstation – ein Zeichen, wie sehr man hier in Dithmarschen das Radwandern lebt.

Im Naturschutzgebiet “Kronenloch”
treffen sich Alpenstrandläufer
und Kiebitzregenpfeifer.
Bald darauf führt der Radweg ins Naturschutzgebiet “Kronenloch”, ein echtes Kleinod zwischen Marschland, Salzwiesen und dem rauen Meer. Die Landschaft öffnet sich, der Himmel weitet sich. Bäume wiegen ihre Äste im Wind, tiefblau hebt sich das Wasser von den Wolkenfetzen am Horizont ab. Das Leben tanzt und ist beflügelt, wild und wunderbar. Alpenstrandläufer huschen durchs seichte Wasser, Kiebitzregenpfeifer und Grünschenkel staksen im Schlick. Im Herbst verdichtet sich das Bild zum schwarz-weißen Schauspiel, wenn tausende Nonnengänse das Gebiet in ein lebendiges Mosaik verwandeln. Ich steige zur Plattform auf um die Aussicht zu genießen– der Blick in die Natur ist traumhaft.

Am Meldorfer Speicherkoog,
einem Top-Windsurfrevier an der Nordsee.
Nur wenig später wird der Meldorfer Speicherkoog erreicht, eines der besten Windsurfreviere an der Nordsee. Hier weht der Wind kräftiger, das Meer rauscht lauter, die Elemente laden zum sich Austoben ein. Die Surfschule Meldorf ist bekannt dafür, Wingsurfen und Kitesurfen zu vermitteln. Wer will, kann sich eine Stunde auf dem SUP die Zeit vertreiben, Board und Paddel sind hier für nur zehn Euro erhältlich.
Die Nationalpark-Station “Wattwurm” ist hier ebenso besuchenswert. Dabei wird sichtbar, wie eng Naturerlebnis und Naturschutz an der Nordsee miteinander verbunden sind. Einmal den Deich hochkrabbeln und aufs offene Meer blicken, das muss jetzt auch einfach mal sein. Es bläst mich fast um, dann geht es aber sanfter weiter, windgeschützt hinter dem Deich, zum Etappenziel Büsum. Gleich am Ortseingang strandet der durstige Radler oft genau wie der gemeine Werktätige am Fischtresen der Sandbank 26, wo das feine Fischbrötchen mundet und einem kühlen Dithmarscher am Feierabend gern mal ein zweites folgt.

Durchstarten bei Wind und Wetter:
Nordseewetter mit allen Elementen.
Im traditionsreichen Badeort Büsum ist nicht immer alles das, was es dem ersten Anschein nach ist. Wer das Wörtchen Bretterbude zu ernst nimmt, lässt sich vielleicht schnell davon abhalten, dieses tolle Domizil als Schafstätte zu wählen. Dabei bietet „das etwas andere Hotel“ selbst in den einfachsten „Butzen“ immer mehr als die übliche „Holzklasse“. Einfach alles, was müde Radfahrerseelen benötigen, ist hier vorhanden, Fahrradkeller und Frühstücksbuffet vom Feinsten inklusive – gleich nebenan lädt außerdem das ausgezeichnete Restaurant Deichperle zum Schlemmen ein. Überhaupt prägt Büsum, seit 1949 staatlich anerkanntes Nordseeheilbad, seit jeher ein ausgeprägter touristischer Pioniergeist, welcher auch heute noch erfrischend innovativ ist. 1883 war Büsum das erste deutsche Seebad mit Bahnanbindung. Ein Jahr zuvor wurden die vor Sonne und Wind schützenden Strandkörbe erfunden, die Büsum in jüngster Zeit pfiffig für die Bedürfnisse der Zukunft weiterentwickelte: 2016 wurden erste Schlafstrandkörbe aufgestellt, barrierefreie Rollstuhl-Strandkörbe und eine Strandkorbsauna kamen hinzu. Mit Workation-Strandkörben und Meeting-Strandkörben wird seit 2025 Arbeit und Erholung verbunden.

Klein fing alles an:
Erster Büsumer Leuchtturm
von 1878-1913.
Zum Start der nächsten Etappe von Büsum nach Sankt Peter Ording (40,85 Kilometer) steht der Himmel schon unter dunklen Vorzeichen und öffnet bald darauf endgültig die Schleusen. Doch wer sich für eine Gravelbike-Tour an der Nordseeküste entscheidet, rechnet mit so was. Also steigen ich und Michael, mein Begleiter für die nächsten Tage, auf den Sattel, richten den Blick nach vorn und treten entschlossen los – bei Wind und Wetter in Richtung dem Etappenziel St. Peter-Ording.
Schon nach wenigen Kilometern erreichen wir das gewaltige Eider-Sperrwerk. Unzählige Möwen kreischen im Wind, während unter uns das aufgewühlte Wasser tost. Hier wird klar: Die Nordsee lässt sich bändigen, aber nicht zähmen. Wir überqueren das Bollwerk aus Stahl und Beton und sind bald mittendrin in einem Naturschauspiel, das die Urwüchsigkeit toppt: Wir wechseln auf die die Meerseite des Deichs.

Faule Ausreden gibt´s nicht:
An der Nordsee ist immer Fahrradwetter.
Nun kommt der Moment, in dem sich Weite und Wildheit die Hand reichen. Auf Höhe der grünen Badeecke von Vollerwiek trifft uns die volle Wucht des Nordseewetters: peitschender Wind, schräger Regen, raue Gischt – wir kämpfen uns Meter für Meter vorwärts. Das Rad schwankt hin und her, es tobt das wilde Meer. Doch genau in diesem Moment zeigt das Gravelbike, was es kann: griffige Reifen, sportliche Haltung, aerodynamische Anpassung. Ellbogen anlegen, tief in den Lenker greifen, der Körper wird zur Windkante. Selbst Zickzackfahren wird zur Taktik, um den kräftezehrenden Gegenwind zu zähmen.
Wir sind klatschnass, der Regen dringt ins Schuhwerk – und trotzdem macht sich ein stiller Stolz breit. Denn wer den Elementen so trotzt, erlebt die Nordsee mit jeder Faser. Die letzten Kilometer ziehen sich, aber schließlich ist es da: St. Peter-Ording. Statt Strandspaziergang wartet heute das warme Hotelzimmer im Hotel Villa Sonneck auf uns, und die leise Erkenntnis, dass es kein perfektes Wetter braucht, um so ein perfekter Tag zu sein. Gegenwind formt den Charakter, sagen die Nordlichter. Und nach diesem Tag stimmt das mehr denn je.
Der Morgen beginnt mit einem Lächeln. Die Sonne steht schon über den Dünen von St. Peter-Ording, der Himmel strahlt, und kaum zu glauben, der Wind schiebt uns freundlich an. Der Mythos vom ewigen Gegenwind an der Nordsee? Heute widerlegt. Perfekte Bedingungen für einen Tag, der uns mitten durchs idyllische Herz Eiderstedts führt.

Das Wahrzeichen Schleswig-Holsteins:
Der Leuchtturm von Westerheversand
Schon bald liegt er vor uns: der Leuchtturm Westerheversand – das Wahrzeichen der Nordseeküste Schleswig-Holsteins. Majestätisch erhebt er sich auf der Warft, flankiert von weißen Wärterhäuschen, eingerahmt von Weideland und Wattenmeer. Wir durchqueren den Tümlauer Koog mit Deichen zur Linken und Schafen zur Rechten, der Horizont unendlich weit. Die Luft ist klar, das Licht nordisch hell.

Pure Idylle auf Eiderstedt
mit Sonne und Rückenwind.
Oben auf dem Turm bläst uns der Wind entgegen – kraftvoll und frei. Fast vergisst man die Welt unter sich, wenn man in die Weite schaut, über grüne Wiesen, Priele und Schafpfade. Es ist kaum vorstellbar, dass hier einst Leuchtfeuerwärter das Licht mit Kohlebogenlampen entfachten. Heute lenkt uns das Tageslicht weiter Richtung Husum. Das Restaurant im Roten Haubarg, einem Reetdach-Bauernhaus aus dem 17. Jahrhundert, hat heute leider Ruhetag. Doch milde Luft und Sonnenschein laden uns heute zu einem entspannten Picknick ein.
Zwischen der historischen Werft und dem Welterbe Wattenmeer gilt Husum als wirtschaftliches und kulturelles Zentrum Nordfrieslands. Der berühmteste Sohn der Stadt heißt Theodor Storm, nach dessen Gedicht Husum auch etwas unzutreffend als “Graue Stadt am Meer” gilt, denn sie ist eigentlich eine sehr bunte und facettenreiche Stadt. Das einstige Wohnhaus des Dichters ist heute ein Museum. Auf dem Husumer Marktplatz begrüßt uns in einfachen Holzpantoffeln die Husumer Tine. Die markante Statue ist das Wahrzeichen der Stadt.

Das Dithmarscher Pilsener
mundet in der Beach Bar.
Ein Besuch des Markts mit den Händlern aus der Region, frischem Fangfisch und dem Schafskäse direkt von den Salzwiesen lohnt sich. Besonders empfehlenswert ist Husumer Pannfisch, das Highlight im Ratskeller: Köstlich gebratenes Zander-, Seelachs-, und Schollenfilet, das meist auf die Krabbensuppe folgt. Im Hafen gibt es nicht nur Krabbenbrötchen, er erzählt auch von der stolzen Geschichte des Schiffsbaus in der Stadt. Direkt an der Slipanlage der einstigen Werft, wo viele Schiffe, die an Nord- und Ostsee verkehren, in See gelassen wurden, lädt heute eine chillige Beach Bar zur Einkehr ein, wo man in die Liegestühle einsinken, das kühle Dithmarscher genießen und den aufregenden Tag mit dem Bike entspannt Revue passieren lassen kann.
Der vierte Tag beginnt so, wie man ihn an der Nordsee erwarten darf: Mit Sonne, Wolken und einem Hauch Unvorhersehbarkeit. Aber macht nicht genau das den Reiz aus? Die frische Brise von Husum begleitet uns nordwärts Richtung Nordstrand, ein Landstrich, der sich wie eine Insel anfühlt, aber über den Damm erreichbar ist. Von drei Seiten den Launen des Meers ausgesetzt, liegt Nordstrand mitten im Nationalpark Wattenmeer und lässt den Rhythmus der Gezeiten direkt spüren.
Der Weg dorthin ist ein Abenteuer für alle Sinne: Der Wind treibt uns mal an, mal stellt er sich quer, während die Deiche von Tausenden Schafen belebt werden, die ganz unbeeindruckt ihr Dasein fristen – und dabei Spuren hinterlassen, denen man auf dem Rad am besten mit einem gewissen Slalom-Geschick begegnet. Schnell wird klar: Dieser Weg gehört unseren Gravelbikes. Ein Rennrad würde hier kapitulieren, schwere E-Bikes mit sperrigen Satteltaschen kämpfen an den engen Schafgattern – doch unsere Kombination aus leichtfüßigem Begleiter auf Asphalt, Schotter und Wiesenwegen und hochwertigen Deuter Trans Alpine Rücksäcken bringt uns verlässlich weiter bis ans Ziel.

Hallig-Haxe vom Salzwiesenlamm:
Eine echte kulinarische Offenbarung.
Nordstrand ist nicht nur landschaftlich ein Erlebnis, sondern auch kulinarisch. Wer sich auf den kleinen Umweg zur Hamburger Hallig wagt – ob per Rad oder bei Ebbe gar zu Fuß durchs Watt – wird im Hallig Krog belohnt: Die legendäre Hallig-Haxe vom Salzwiesenlamm, zubereitet von Gourmetkoch Erick Brack, ist ein Gedicht. Zart, kräftig im Geschmack, norddeutsch geerdet. Dazu ein „Pharisäer“ – das Nationalgetränk der Region: Kaffee mit Rum unter einer Sahnehaube. Wärmt Körper und Seele. Während die Großen genießen, freuen sich die Kleinen über dicke Pfannkuchen mit hausgemachtem Apfelmus.

Speisekammer für Zugvögel:
Das Beltringharder Koog ist
ein wertvolles Biotop.
Im Beltringharder Koog – einem stillen Wunderwerk aus Meer, Land und Himmel – besuchen wir die UNESCO-Nationalpark-Ausstellung. Was man hier über die Vogelwelt des Wattenmeeres erfährt, bleibt im Gedächtnis: Zugvögel auf Weltreise, rastend in Nordfriesland, hier in das Watt eintauchend wie in eine nicht endende Speisekammer. Es ist dieser natürliche Reichtum, der den Koog so besonders macht.

Nehmen wie es kommt:
Das Wetter an der Nordsee.
Doch die Wolken ziehen sich zusammen, und bald begleitet uns Regen auf dem weiteren Weg. Entlang des Deichs – vorbei an Gänsen, Prielen und immer wieder Schafen – geht es in Richtung Dagebüll. Die Fähren zu Amrum und Föhr legen hier ab, doch wir biegen kurz davor nach rechts ab, rein ins grüne Binnenland. Die letzten Kilometer bis Niebüll fordern noch einmal Konzentration, die Kräfte schwinden langsam. Tipp: Etappen wegen häufigem Gegenwind nicht über 50 Km wählen.

Entspannung pur in der Fasssauna
vom Hotel Landhafen in Niebüll.
Und dann – fast schon wie eine Belohnung – liegt es plötzlich vor uns: Das Hotel Landhafen. Modern, gemütlich und nordisch entspannt. Eine Fass-Sauna im Garten verspricht Wärme für die geplagten Beine, die Lounge mit Blick hinaus ins Grüne, wo Yoga trainiert werden kann, schenkt Ruhe und Kraft. Unsere Gravelbikes ruhen sich im Container aus. So wird aus dem Regentag auf einmal ein Wohlfühlabend.

Grenze zu Dänemark: Wo Schleswig-Holstein endet,
aber der Nordsee-Radweg noch lang nicht aufhört.
Von hier aus ginge es mit dem IC zurück Richtung Heimat – doch wer noch nicht genug hat von Meer, Wind und Weite, kann sich wieder auf den Sattel schwingen und den Nordseeküstenradweg weiter fortsetzen. Bis zur dänischen Grenze sind es nur noch wenige Pedaltritte. Doch auch ohne diesen letzten Abschnitt bleibt eines sicher: Diese Reise war ein echtes Nordseeerlebnis – wild, authentisch und voller Zauber.
INFO
Informationen
Der Nordseeküsten-Radweg, auch Euro-Velo-Route 12 genannt, ist ein Europäischer Radfernweg, der über 5.942 Kilometer die sechs Staaten Großbritannien, Niederlande, Deutschland, Dänemark, Schweden und Norwegen verbindet. Auf der deutschen Strecke werden etwa 930 Kilometer zurückgelegt, davon rund 360 Kilometer in Schleswig-Holstein.
Anreise
Es gibt viele Optionen, zum Radurlaub am Nordseeküstenradweg in Schleswig-Holstein an- und abzureisen. Bei der Anreise mit Bike und Bahn sollte unbedingt ein Umstieg am Hamburger Hauptbahnhof, vor allem auf die überfüllte S-Bahn, vermieden werden. Daher Fernverkehrszüge wählen, die bis Hamburg-Altona oder im besten Fall bis Heide oder Niebüll durchfahren (z.B. der IC Westerland). Vorsicht bei Umstiegsverbindungen: Wegen der meist einspurigen Bahnstrecken sind Verspätungen der Züge an der Tagesordnung.
Bei Anreise mit dem PKW empfiehlt sich die Westküstenautobahn nach Heide (A23) welche allerdings 2025 von verschiedenen Baustellen und Sperrrungen betroffen ist.
Nicht verpassen
– Schafe beobachten am Deich, wo es mehr Schafe als Menschen gibt
– Krabbensuppe und Lamm in allen Variationen
– Das beste und reichhaltigste Frühstück in der Bretterbude Büsum
– Wattwanderung und genussvolle Einkehr in der Hamburger Hallig